circa 300 000 Personen zu, ohne dass sich im Gegenzug die Basis der Beitragszahler ausgeweitet hätte. Die Pflegeversicherung steht damit vor immensen Herausforderungen. Der dbb und die dbb bundesseniorenvertretung fordern seit Jahren eine umfassende Pflegereform, um „die Pflege“ nachhaltig generationengerecht auszugestalten. Mit dem Pflegestärkungsgesetz I hatte der Gesetzgeber im Jahr 2017 den sogenannten Pflegevorsorgefonds eingerichtet, in den ein Anteil von 0,1 Prozentpunkten der Pflegeversicherungsbeiträge pro Jahr fließt. Das sind mittlerweile immerhin rund 1,6 Milliarden Euro pro Jahr. Bis zum Jahr 2035 soll so Geld angespart werden, um die dann zu erwartenden Beitragssteigerungen abzumildern. Bundesgesundheitsminister Lauterbach hat diesen Mechanismus für die Jahre 2024 bis 2027 im Zuge der Haushaltsberatungen teilweise ausgesetzt. Die Zuführung an den Pflegevorsorgefonds für diesen Zeitraum wird aktuell auf 700 Millionen Euro pro Jahr mehr als halbiert. Der dbb hatte dies scharf kritisiert, denn der Fonds sollte ursprünglich gerade nicht dazu dienen, Haushaltslöcher zu stopfen. Mögliches Reformmodell Zu möglichen Reformen hat das Institut für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) im Auftrag der Bundesregierung eine ausführliche Analyse zahlreicher Stellschrauben vorgenommen, mit denen die Finanzsituation der sozialen Pflegeversicherung zukunfts- und demografiefest ausgestaltet werden könnte. Das derzeitige System wurde dafür unter konstanten Bedingungen fortgeschrieben und die Wirkung einzelner Maßnahmen im Vergleich betrachtet. Die jeweiligen beitragssatzrelevanten Konsequenzen sind teilweise beachtlich. Untersucht wurden die Wirkung einer Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze, die Verbeitragung weiterer Einkommensarten (zum Beispiel von Kapital- und Mieteinnahmen), die Einführung einer sogenannten solidarischen Pflegebürgerversicherung, die Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen (Rentenbeiträge für Pflegepersonen und die beitragsfreie Familienversicherung) sowie der Aufbau eines Kapitalstocks mit Kapitalerhalt und Ertragsausschüttung an die Pflegeversicherung. Unter Fortschreibung der derzeitigen gesetzlichen Regelungen und der Annahme einer durchschnittlichen jährlichen Inflation von 1,5 Prozent sowie eines Anstiegs der Leistungsausgaben in Höhe von drei Prozent pro Jahr, steigt der Beitragssatz zur sozialen Pflegeversicherung bis zum Jahr 2060 von derzeit 3,4 Prozent auf dann voraussichtlich 4,6 Prozent der beitragspflichtigen Einkünfte. Eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze auf die Höhe der Versicherungspflichtgrenze würde im Jahr 2060 zu einer Dämpfung des dann gültigen Beitragssatzes von knapp 0,1 Prozentpunkten auf 4,5 Prozent führen – der Entlastungseffekt wäre begrenzt. Auch die Wirkung einer isoliert betrachteten Heranziehung weiterer Einkommensarten, wie beispielsweise Kapital- und Mieteinnahmen, wurde kalkuliert. Die dadurch mögliche Beitragssatzreduktion im Jahr 2060 liegt ebenfalls im Bereich von 0,1 Prozentpunkten. Bürgerversicherung ist keine Option Spannend sind die Ergebnisse der Prognose vor allem in Bezug auf die Einführung einer sogenannten solidarischen Pflegebürgerversicherung. Sehen die Befürworter darin ein Allheilmittel, um die Finanzen der sozialen Pflegeversicherung zu sanieren, zeigen die Zahlen des IGES deutlich, dass eine Einbeziehung der privat Pflegeversicherten kaum zu nennenswerten Beitragssatzeffekten führt. Und das losgelöst von der Frage, ob eine Überführung verfassungsrechtlich Bestand haben würde, was Experten bezweifeln. Würden nur die neu zu versichernden Bürgerinnen und Bürger in die soziale Pflegeversicherung aufgenommen, die aktuell PKV-Versicherten jedoch privat versichert bleiben, würde dies im Jahr 2060 zu einer Reduktion des Beitragssatzes von lediglich 0,25 Prozentpunkten führen. Deutlich mehr Beitragssatzrelevanz hätte die Umsetzung der langjährigen Forderung des dbb nach einer Steuerfinanzierung der versicherungsfremden Leistungen. Das IGES hat berechnet, dass eine außerhalb der Pflegeversicherung erfolgende Übernahme der Kosten für die Rentenbeiträge der Pflegenden sowie der Kosten für die beitragsfreie Familienversicherung zusammen den Beitragssatz im Jahr 2060 um knapp 0,7 Prozentpunkte reduzieren würde. Nach wie vor sieht der dbb auch Einsparpotenziale durch verstärkte Investitionen in die geriatrische Rehabilitation. Durch Verhinderung oder ein Hinauszögern von Pflegebedürftigkeit lassen sich langfristig immense Kosten einsparen – ganz abgesehen von einer deutlichen Erhöhung der Lebensqualität der Betroffenen. krz Der Reformdruck ist hoch Natürlich können die derzeitigen Leistungen der Pflegeversicherung durch höhere Beiträge oder mehr Steuermittel aufrechterhalten werden. Das reicht jedoch nicht aus. Wichtige Vorhaben wie die Entgeltersatzleistung für pflegende Angehörige oder mehr Unterstützung bei der Bewältigung der Eigenanteile in der stationären Pflege erfordern eine grundlegende Reform. Die hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bereits im Frühjahr medienwirksam angekündigt – und dann passierte nichts. Anfang Oktober 2024 folgte dem Dementi einer drohenden Insolvenz der Pflegekassen die Ankündigung, „in Kürze“ eine größere Pflegereform auf den Weg bringen zu wollen. „Wir sind da in der Feinabstimmung“, sagte er Spiegel Online am 7. Oktober, ohne jedoch Details zu nennen. Man darf gespannt sein, wie die neue Bundesregierung mit dem Problemkomplex umgehen wird – der Reformdruck ist hoch und duldet keinen Aufschub. Der dbb wird die Prozesse kritisch begleiten und für bessere Leistungen und mehr Nachhaltigkeit in der Pflegeversicherung kämpfen. Eine Bürgerversicherung zur Finanzierung ist und bleibt dagegen purer Populismus und löst langfristig keine Probleme. Mittlerweile steht fest, dass die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler für die ausgefallene Reform einspringen müssen: Die Beitragssätze zur Pflegeversicherung werden zum 1. Januar 2025 um 0,2 Prozentpunkte angehoben. krz Kommentar Model Foto: Peopleimages.com/Colourbox.de FOKUS 29 vbob Magazin | dbb seiten | Dezember 2024
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