Ehrenamt braucht Unterstützung Warum ein funktionierender Staat essenziell ist Das Ehrenamt hat in Deutschland einen guten Ruf. Zu Recht: Etwa 29 Millionen Menschen engagieren sich überall in unserer Gesellschaft für das Gemeinwohl. Sie stehen auch im Winter auf zugigen Sportplätzen und trainieren Nachwuchsfußballer, machen Dienste in Hospizen, besuchen alte Menschen in Pflegeheimen, bedienen Bedürftige bei den Tafeln oder helfen Geflüchteten, in Deutschland Fuß zu fassen. Das straft die vielen Reden derer Lügen, die beklagen, dass es in unserem Land nur noch um Hedonismus und Selbstverwirklichung gehe. Keine Frage, ohne die vielen uneigennützigen Fleißigen sähe es in vielen Bereichen des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens schlecht aus. Daher fehlt es auch nicht an großen Worten. „Ehrenamt ist gelebte Demokratie“, schreibt die Bundesinnenministerin auf ihrer Website. Und seit vier Jahren gibt es sogar eine eigene Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt. Hier arbeiten nicht nur Ehrenamtliche, sondern 75 angestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das Budget beträgt nach eigenen Angaben der Stiftung 30 Millionen Euro. In Zeiten des allgemeinen Spardiktats klingt das nicht schlecht. Das ist die eine Seite. Doch es gibt eine andere, weniger erfreuliche, die in den Sonntagsreden der Politik kaum vorkommt. Häufig ist das Ehrenamt nicht mehr als ein Lückenbüßer für staatliche Mängel, die kaum noch zu kaschieren sind. Ein Beispiel dafür ist das System der Vormundschaft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Daraus möchte sich der Staat sogar erklärtermaßen gerne zurückziehen. Mit der Vormundschaftsreform, die Anfang 2023 in Kraft trat, ist das offiziell ausgesprochen. Seitdem gibt es die vorläufige Vormundschaft, die durch das Jugendamt ausgeübt wird, aber zum Ziel hat, dass die Aufgabe später in private Hände gegeben wird. Das ist theoretisch sogar ein berechtigtes Anliegen – bei deutschen Kindern. So soll der Wunsch der Kinder bei der Wahl des Vormundes besser berücksichtigt werden. Einer wissenschaftlichen Auswertung aus dem vergangenen Jahr zufolge hat bereits mehr als die Hälfte aller minderjährigen unbegleiteten Geflüchteten einen privaten Vormund. Das sind häufig Verwandte, die mit ins Land gekommen sind, immer öfter aber auch engagierte deutsche Privatleute. In Berlin gibt es gleich mehrere Anlaufstellen, wo man sich darüber informieren kann, wenn man als Ehrenamtliche/r eine Vormundschaft übernehmen will. Auch diese Beratung liegt überwiegend in privater Hand. Womöglich ist das auch besser so: Dem TV-Magazin Panorama hat die Mitarbeiterin eines Hamburger Jugendamtes in diesem Sommer ausführlich beschrieben, unter welchen Bedingungen sie arbeitet – und was das auch mit ihr macht. Für 50 Jugendliche ist sie der amtliche Vormund, ihre Schutzbefohlenen sieht sie nur drei- bis viermal im Jahr, obwohl es mindestens einmal im Monat sein sollte, was aber auch schon wenig ist. Sie sage ihren Jugendlichen immer, sie sollten sich melden, wenn sie ein Anliegen haben, denn sie selbst werde nicht nachfragen können, weil sie einfach irgendwann den Überblick verliere bei so viel Jugendlichen. Als Quintessenz ihrer Arbeit sagt sie den schockierenden Satz: „Wir produzieren nur Enttäuschung.“ Als Grund für die Misere gibt die Mitarbeiterin, die anonym bleiben wollte, den allgegenwärtigen Spardruck im öffentlichen Dienst an. Aussicht auf Besserung: keine. Das bedeutet dann aber natürlich auch, dass private Vormünder keine Hilfe vom Amt erwarten dürfen, wenn die anspruchsvolle Aufgabe Schwierigkeiten mit sich bringt oder sie vielleicht sogar an den Rand ihrer Belastungsfähigkeit führt. Das berichten im Übrigen auch Menschen, die sich allgemein privat in der Flüchtlingshilfe engagieren. Seien wir ehrlich: 2015 und 2016 wäre ohne ihre Hilfe viel mehr schiefgegangen, als plötzlich Hundertausende zu versorgen waren und auf staatliche Strukturen trafen, die dafür nicht im Ansatz ausgestattet waren. Damals waren es übrigens vor allem die jungen Alten, die gerade in den Ruhestand gewechselt waren, die nun viel von ihrer freien Zeit opferten, um zu helfen. Jetzt gehen die Boomer-Jahrgänge in Rente. Die meisten von ihnen sind gesund und gewohnt, hart zu arbeiten. Da wäre es natürlich eine wunderbare Idee, diese Menschen für ein Ehrenamt zu begeistern. Doch all das funktioniert nur, wenn die Ehrenamtler auch auf einen funktionierenden Staat treffen. Die Arbeit muss Hand in Hand gehen. Bisher sieht es leider an- ders aus. Christine Dankbar MEINUNG … Christine Dankbar ist Ressortleiterin Politik bei der Frankfurter Rundschau. Die Autorin … © Getty Images/Unsplash.com FOKUS 27 vbob Magazin | dbb seiten | Dezember 2024
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