vbob Magazin 12/2024

lung im Ehrenamt findet, Sinnstiftung, Zufriedenheit, ja sogar Lebensglück – Aspekte, die von Ehrenamtlichen durchgängig als Motivation für ihren Dienst an der Gemeinschaft genannt werden –, ist weniger anfällig für Radikalisierung. Wer sorgt wofür? Sinnstiftung und Zufriedenheit kommen allerdings schnell an ihr Ende, wenn Freiwillige den Eindruck gewinnen, als Lückenbüßer einspringen zu müssen, weil der Staat sich aus seiner Verantwortung für die Daseinsvorsorge zurückzieht. Dass der Staat nicht für alle damit verbundenen Aufgaben Verantwortung trägt, hat Tradition und ist auch dezidiert so geregelt: Die DLRG sorgt mit ihren Ehrenamtlichen für die Rettung von Menschenleben an deutschen Küsten- und Binnengewässern. Das THW ist im In- und Ausland mit seinen Freiwilligen bei Katastrophen zur Stelle. Brandschutz, Rettung und Löschung übernimmt in Stadt und Land weit überwiegend die freiwillige Feuerwehr. Johanniter, Malteser, Arbeiter-Samariter-Bund und das Deutsche Rote Kreuz leisten und organisieren medizinische und humanitäre Hilfe und sind in der Wohlfahrtspflege aktiv. Dass der unentgeltliche Einsatz für das eigene Gemeinwesen zum Staatsbürgerdasein dazugehört, ist nicht nur für die Freiwilligen in diesen Organisationen selbstverständlich. 19 Milliarden Euro jährlich werden laut der dbb jugend nrw allein in diesem Bundesland dadurch eingespart, dass sich rund die Hälfte der Bevölkerung bürgerschaftlich engagiert. Aber es gerät etwas ins Rutschen, wenn Menschen auf dem Land mit Bürgerbussen und ehrenamtlichen Fahrdiensten für Senioren ausgleichen sollen, dass keine ausreichende ÖPNVAnbindung existiert; wenn nach Angaben des Sozialverbands VdK die größte Ehrenamtlichengruppe die der pflegenden Angehörigen ist, die sich – nicht nur, aber auch – für die Versorgung ihrer Nächsten zu Hause entscheiden, weil es an gut ausgestatteten und bezahlbaren Pflegeeinrichtungen mangelt, denen sie ihre Liebsten guten Gewissens anvertrauen könnten. Oder wenn etwa die Tafeln immer wieder und immer lauter warnen, dass sie in Zeiten wachsender Armut des Andrangs nicht mehr Herr werden. Eines Andrangs, der auch dadurch zunimmt, dass der Staat – unter Hinweis auf die Existenz der Tafeln – seine Unterstützungsleistungen so knapp bemisst, dass Menschen am Monatsende gar nichts anderes übrig bleibt, als sich über die Tafeln zu versorgen. Ohne das Ehrenamt geht es nicht. Aber ein Ersatz für die staatliche Daseinsvorsorge kann es nicht sein. Die komplexe Lage strukturschwacher Kommunen Schrumpfende, strukturschwache Kommunen können auf diesen Ersatz allerdings kaum mehr verzichten. Angesichts angespannter Haushalte und Personalmangels sind sie auf engagierte Freiwillige angewiesen, um Leistungen abfedern zu können, die nach und nach weggebrochen sind oder wegzubrechen drohen. Das stellt sie vor vielfältige Herausforderungen. Gerade in durch Abwanderung oder demografischen Wandel stark betroffenen Regionen fehlt es häufig an der notwendigen „kritischen Masse“, an Personen, die für Kooperationen infrage kämen. Wer dazu bereit ist, sieht sich wiederum mit Hürden konfrontiert, deren Überwindung (zu) viel Zeit und Ressourcen kostet: Bürokratie, ein formales Antragswesen, abgefasst in schwer verständlichem Fach- und Amtsdeutsch, oder ein Förderwesen, das auf Projekte zielt, die sich aus voneinander losgelösten Modellprogrammen und Fördertöpfen speisen und Initiativen dazu zwingen, sich alle drei bis fünf Jahre neu zu erfinden. Tradierte Top-downMechanismen, die dazu führen, dass Freiwillige sich eher als Handlanger denn als Kooperationspartner fühlen, helfen auch nicht. Gleichzeitig sieht sich die Kommune gehalten, den Erfordernissen staatlichen Verwaltungshandelns gerecht zu werden. Eine komplizierte Gemengelage, die allen Beteiligten viel abverlangt. Ohne Anpassungen wird es nicht gehen. Als eine Möglichkeit, Funktionen kommunaler Daseinsvorsorge aufrechtzuerhalten, ohne sie selbst betreiben zu müssen, erweisen sich Bürgergenossenschaften. Ob Dorfläden, alternative Wohn- und Mobilitätsformen, Dienstleistungen der Nachbarschafts- und Seniorenhilfe, Schwimmbäder, Energie- und Wasserversorgung – Bürgergenossenschaften übernehmen, wo die Kommune es finanziell oder organisatorisch nicht mehr leisten kann. Das Modell eignet sich nicht für jede Aufgabe, es erfordert gute Beratung, breite (kommunale) Unterstützung und viel Engagement. Wo es gelingt, erlaubt es aber der Kommune, Leistungen zu privatisieren, die Bürgerschaft und damit die Nutzer einzubinden und gleichzeitig den eigenen Einfluss zu wahren. Noch ist © THW/Susanne Hörle © Denis Foemer (DLRG) FOKUS 25 vbob Magazin | dbb seiten | Dezember 2024

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